euphorscht - Schnupfen, TBC & Hypochondrie

Es riecht nach Schnee. Draußen ist es kalt. Alles hustet, schnupft und niest. Es ist die Zeit der Absagen und Einspringen an den Theatern.

 

Meine Bücher sind voll von Definitionen von Krankheiten, Stimmhygiene-Übungen und anderen Präventionsmaßnahmen. Aber nirgendwo steht etwas über die besonderen Bedingungen an der Bühne, wo durch Tröpcheninfektion ein Sänger nach dem anderen erkrankt, einfach, weil gemeinsam gespielt und geprobt wird.

 

Ein dreihundert Seiten starkes Buch, das über berufsbedingte Erkrankungen bei Musikern informiert, reserviert die letzten zweieinhalb (!) Seiten für die Sängerkrankheiten. Davon geht es zwei Seiten lang um die belastete Haut und eine halbe um den Impfschutz. Dabei wird nicht einmal die Grippe als mögliche Krankheit erwähnt. Es werden lediglich Empfehlungen für Standardimpfungen ausgesprochen, da der Bühnenraum Gefahr für Endemien berge, obwohl keine schlimmeren Fälle bekannt seien. Allerdings solle man regelmäßig einen Tuberkulintest durchführen (Lahme, Klein-Vogelbach, Spirgi-Gantert (2000): Berufsbedingte Erkrankungen bei Musikern. Berlin: Springer).

 

Und bevor jetzt alle hyperventilieren aufgrund der angeblichen Tuberkulose-Gefahr, noch eine interessante Studie von Maria Sandgren. Sie hat Sänger zu ihren Ängsten und Gewohnheiten befragt und sich danach gefragt, ob diese Angst, krank zu werden oder sich anzustecken, nicht eine spezielle Art der Hypochondrie sei.

Ich finde den Gedanken interessant.

Sie beschreibt, dass diese ganzen Krankheits-Vermeidungsstrategien von Sängern ja keine reine Bühnenangst seien, zu denen sie wohl gezählt würden. Es passe doch eher in das Bild einer Hypochondrie. Einen Sängertick untersucht sie dabei genauer. Und zwar geht es um das "Stimme-ausprobieren". Ein kleiner Laut oder Test am Morgen oder auch zwischendurch am Tag. Ist die Stimme noch da? Oder hat sie einen verlassen?

Ist diese Angst begründet? Oder hat sie sich bereits verselbständigt? 

Hier könnt Ihr die Studie lesen.

Ich finde den Gedanken sehr richtig, dass es keine Bühnenangst darstellt. Allerdings ist es für mich tatsächlich eher eine ganz begründete Angst und daher keine psychische Störung.

Wie seht Ihr das?

 

Bernhard Richter hat zu dem Thema noch einen anderen Gedanken, den ich teile und auch als Gefahr sehe:

 

"Manche Sänger meiden soziale Situationen, um sich vor grippalen Infekten zu schützen. Dies mag im Einzelfall sinnvoll sein. Da soziale Integration und Unterstützung allerdings als einer der stärksten psychischen Schutzfaktoren gilt, bleibt zu bedenken, ob ein übertriebener sozialer Rückzug auf Dauer wirklich die positivere Variante darstellt" (Richter (2013): Die Stimme. Leipzig: Henschel).

 

Zum Schluss noch ein ausgleichender Absatz, um die Köpfe wieder frei zu bekommen, aus dem Kapitel "Heilwirkung der Musik. Hygiene des Spiels. Sport, Schlaf, Wasser, Luft, Sonne für den Musiker" von Kurt Singer aus dem Jahre 1926:

"Schöpferische Menschen steigen in die Berge, betätigen sich in der Landwirtschaft, um durch solchen Muskelsport gesund an Nerv und Seele zu bleiben. Anderen gibt das Geigen die beste Erholung, wieder anderen das Dirigieren (Mahler), oder das Purzelbaumschlagen (Wagner). Heroinen, Wagnersängerinnen würde eine systematische Sportkur kaum bekömmlich sein, ihre Kraft liegt nicht gar zu selten in ihrer Körperfülle eingebettet und schwindet mit dem Erfolg einer gesteigerten Sehnsucht nach Schlankheit" (Singer (1926): Berufskrankheiten der Musiker. Berlin: Hesse).

 

In diesem Sinne gehe ich jetzt mal zum Ausgleich Purzelbaumschlagen!

 

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